Der folgende Text befasst sich mit jenen Abschnitten der (Kirchen-)Geschichte, die für die evangelikale Bewegung bedeutsam sind.
Viele Gedanken und Daten stammen aus einem Buch (Günther S. Wegener, Die Kirche lebt; Oncken Verlag 1978) aber auch aus anderen Quellen. Es handelt sich hier um einen groben Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Bedeutung der Geschichte
Der Blick zurück in die Geschichte ist mehr als Nostalgie. Die Geschichte erinnert uns u.a. an das vielfältige Wirken Gottes im Lauf der Zeit. Gott ist auch Herr der Geschichte
Was bedeutet evangelikal?
Die evangelikale Bewegung ist immer dem Evangelium verpflichtet, das heißt an der Heiligen Schrift orientiert.
Hervorzuheben sind die Bewegungen der Katharer (daher stammt der Begriff der "Ketzer") und der Waldenser.
Katharer und Waldenser haben zwar wenig miteinander gemeinsam, erleiden aber in Verfolgung, Ausrottung und Vertreibung ein gemeinsames Schicksal.
Die Lehre der Katharer wendet sich gegen die Missstände in der damaligen Kirche. Sie setzen sogar eigene Bischöfe ein. Sie finden Ausbreitung von Spanien und Südfrankreich nach Norden und nach Osten (bis Wien). Doch sind ihre Inhalte als Irrlehre und Abkehr von der christlichen Wahrheit zu beurteilen. Die Katharer und ihre Lehre haben heute keine Bedeutung mehr.
Die Waldenser hingegen sind eine Bewegung, die aus der Bekehrung eines Mannes - Petrus Valdes aus Lyon - hervorgegangen ist. 1176 erlebt er seine Bekehrung und ist von da an als Wanderprediger tätig. Er gründet eine Laienbewegung, deren Maßstab für Lehre und Predigt ist die Heilige Schrift ist. Übersetzungen in die Landessprachen werden begonnen. Kleine Kreise und Gemeinden und Gemeinschaften entstehen in Südfrankreich, Oberitalien und im gesamten Alpenbereich. Die Waldenser orientieren sich am Evangelium, an der Heiligen Schrift. Sie sind die "ersten Evangelikalen" nach der Zeit der Urkirche (bis ca.300).
Doch Rom reagiert: Es beginnen die Albigenserkriege 1209-1229: Die Katharer und mit ihnen die Waldenser werden ausgerottet bzw. vertrieben und verfolgt. (Aktueller Bezug: 1998 wird in Steyr, OÖ ein Waldenser-Denkmal enthüllt, das daran erinnern soll, wie unschuldige und harmlose Menschen wegen ihres Glaubens getötet wurden)
Deutschland - Luther
1512 bis 1516 entdeckt Luther das Evangelium neu. Aus intensivem Bibelstudium erkennt er durch die Hilfe des Hl. Geistes, dass der Mensch allein durch den Glauben an die Erlösung durch Jesus Christus vor Gott bestehen kann. Am 31. Oktober 1517 gibt Prof. Dr. Martin Luther 95 Thesen gegen Missstände in der katholischen Kirche heraus.
Durch seine Erkenntnis (der Mensch steht allein vor Gott - kein Priester oder Papst kann ihm die Schuld abnehmen) ist der Konflikt mit der damaligen Kirche schon vorprogrammiert. Es kommt zur bekannten Entwicklung:
Schweiz - Zwingli, Calvin, Täufer
Zwingli tritt ca. ab 1521 als Reformator in Zürich auf (Reformpunkte: Ablasshandel, Messe, Zölibat...). Aus Genf kommt Johannes Calvin, der nach 1536 zum Anführer der Reformierten in der Schweiz wurde.
Radikale Reformer aus dem Umkreis Zwinglis treten ab 1522 auf. Die Reformen Zwinglis gehen ihnen zu langsam und sind zu wenig weitreichend. Intensives Bibelstudium lässt sie erkennen, dass nur Erwachsene, die ihren Glauben bekennen können, getauft werden sollten. Es kommt zu einer Konfrontation mit Zwingli. Diese dogmatische Differenz kann nicht überbrückt werden.
Täuferbewegung
1525 werden erstmals Gläubige (erneut) getauft, daher die Bezeichnung Wiedertäufer(Anabaptisten). Bekanntere Exponenten dieser Gruppe sind Konrad Grebel, Felix Mantz und Jörg Blaurock. Ein bedeutender Theologe der Täuferbewegung ist Baltasar Hubmaier.
Für die Anhänger Luthers und Zwinglis ist die erneute Taufe ein Akt der schlimmsten Ketzerei. Der Gegensatz verschärft sich. Die Täufer werden zur "dritten Kraft der Reformation".
Die Täufer treten für eine strikte Trennung von Staat und Kirche ein.
Die Geschichte der Täufer ist eine tragische: Sie werden von protestantischer und katholischer Seite bekämpft. Die Scheiterhaufen brennen wieder.
Die Täuferbewegung erfasst bald auch Tirol. Hier wirkte Jakob Hutter, der später in Mähren sogenannte Bruderhöfe gründet (landwirtschaftliche Anwesen, deren Glieder - Hutterer - in familienähnlicher Gemeinschaft leben).
Aber auch Süd- und Norddeutschland und den Niederlanden fasst die junge Täuferbewegung rasch Fuß. Zahlreiche Täufergemeinden befinden sich auch in Mähren (heute CZ). Dort (Nikolsburg, heute Mikulov) wirkte u.a. der bereits erwähnte Balthasar Hubmaier (taufte da ca. 6000 Menschen!!) .
Ein weiterer Prediger, der auch in Österreich wirkte, war Hans Hut.
Die Täufer werden aber leider in Verruf gebracht durch die Ereignisse in Münster (D), wo einige angeblich dem Täufertum verpflichtete Männer eine Schreckensherrschaft errichten.
Weil die Täufer einen Dienst als Soldat mit Waffe ablehnen, müssen sie oft auswandern. Aus Holland nach Süddeutschland, von dort nach Mähren und nach 1620 (Schlacht am Weißen Berg) in die Slowakei, in die Walachei (heute Rumänien) und nach Russland. Ab dem 19. Jahrhundert wandern viele von Russland nach Nordamerika (USA und Kanada) aus. Noch heute gibt es vereinzelt Nachkommen von Täufern in entlegenen sibirischen Dörfern, die auch noch deutsch sprechen.
Das Täufertum wird in ganz Europa blutig verfolgt. Sie werden gefangen, getötet und vertrieben, sodass ab Mitte des 17. Jahrhunderts praktisch keine Täufer mehr in Europa existieren.
Gemeinschaften mit Wurzeln bis zurück ins 16. Jh. sind z.B. die "Hutterischen Brüder" in Nordamerika (Bruderhöfe, Gütergemeinschaft) und die Mennoniten (Nach Menno Simons, durch den 1530 in Holland eine kraftvolle Gemeinschaft entstand), die heute noch über 500.000 Mitglieder zählen.
Die reformatorische Bewegung in England führt zum Bruch mit Rom und in der Folge zum Anglikanismus (Anglikanische Kirche), etwa einem Mittelweg zwischen Protestantismus und Katholizismus.
Gegen diesen Mittelweg richten sich die Puritaner (pur = rein, unverfälscht). Sie wollen eine gründlichere Reform und "Reinigung" der Kirche.(strenge Regelungen - z.B. Sonntagsheiligung bis heute)
Unter dem Einfluss des Calvinismus entwickelt sich in England der Kongregationalismus. Alle Gemeinden sind gleichberechtigt und unabhängig. Unter Cromwell wird ganz England von einem Kongregationalisten und einem Parlament aus Kongregationalisten regiert.
Aus den Puritanern entstehen die Baptisten, die durch untertauchen taufen. Viele Puritaner wandern später auch nach Amerika aus. Die amerikanische Verfassung ist eindeutig puritanisch geprägt.
Ab 1689 herrscht in England Glaubens- und Gewissensfreiheit (Toleranzakte). In anderen Ländern nur auf Papier. Das Täufertum gewinnt hier an Boden. Es entstehen viele kleine Glaubensgemeinschaften ("Freikirchen"). Sie tragen teilweise auch sektiererische Züge (z.B. Quäker). In Amerika ist die Kirche von Anfang an freikirchlich geprägt und Christen verschiedenster Bekenntnisse leben nebeneinander. Die persönliche Freiheit spiegelt sich in den vielen verschiedenen Denominationen wider.
Der Pietismus in Deutschland (ab 1675) zeigt sich als Reaktion auf die tote Orthodoxie des Luthertums. Die persönliche Beschäftigung mit der Heiligen Schrift, das allgemeine Priestertum, das brüderliche Verhalten auch in Auseinandersetzungen - kurzum die persönliche Frömmigkeit - wird betont. Die Bedeutung auch sozialer Hilfe wird erkannt (Armenschulen werden gegründet).
Graf Zinzendorf - durch geflüchtete protestantische "mährische Brüder" (ab 1722) angeregt - gründet die Herrnhuter Brüdergemeinde. Ein wichtiges Leitmotiv ist ihnen die völlige Unterordnung unter Gottes Willen.
Erste Missionare des protestantischen Festlandes werden von hier ausgesandt. Eine Verbindung zwischen England, Deutschland und Amerika ist zustande gekommen (nicht über große Kirchen).
In England wirkt - von den Herrnhutern beeindruckt - John Wesley mit seinem Bruder Charles. John Wesley erfuhr ein persönliches Bekehrungserlebnis. Das sollte im "Methodismus" fortan eine wichtige Rolle spielen.
Es beginnt ein Predigtdienst, der bald auf der Straße (George Whitefield) "endet". Es werden in ganz England christliche Versammlungen unter freiem Himmel abgehalten.
Während in Frankreich die Revolution tobt und eine Welle der Gewalt viele Menschen auf der Guillotine enden lässt , rollt eine Welle der christlichen Erweckung über England und es beginnt eine große Missionsbewegung und Bibelverbreitung. Laienprediger ziehen durch das Land und die Baptisten schicken Missionare nach Asien (Indien)
Auch in Nordamerika (den jungen USA) gibt es eine Erweckungsbewegung.
Die Christen erkennen ihre soziale Verantwortung. Sie wenden sich gegen die Sklaverei, sie gründen Armenschulen, sie beschäftigen sich mit der "Arbeiterfrage". Hier sind die Freikirchen flexibler als die verfassten Großkirchen.
Aus dieser Zeit stammt z.B. die Heilsarmee (Salvation Army). Sie führt ihren "Krieg" gegen Trunksucht, Prostitution und sittliche Verwahrlosung. Sie bringt Hilfe für Arbeitslose und sie verkündet das Evangelium.
Überkonfessionelle Gruppen und Vereine werden gegründet - z.B. 1846 die Evangelische Allianz: eine Zusammenarbeit verschiedenster protestantischer Christen auf persönlicher Basis.
Die evangelikale Bewegung fasst in vielen Teilen der Welt Fuß. Wesentliche Impulse dazu kommen unter anderem aus den USA und aus England. Es kommt vermehrt zur Gründung von Gemeinden auch in katholisch bzw. orthodox dominierten Ländern.
Aus Amerika kommen nach dem 2. Weltkrieg viele evangelikale Missionare nach Europa - unter anderem auch nach Österreich. In vielen österreichischen evangelikalen Gemeinden waren (und sind) amerikanische, schweizerische, deutsche und andere "Geistliche" tätig. Die Gemeinden werden in die Selbständigkeit entlassen.
Auf Entwicklungen in anderen Kontinenten (ab ca. 1960 starkes Wachstum in Afrika, Asien, Südamerika) wird hier nicht eingegangen.
Eine klar strukturierte Geschichte der "Evangelikalen Bewegung" läßt sich wahrscheinlich schwer festschreiben. Zu breit ist das Spektrum der evangelikalen Kirchen weltweit.
Die evangelikale Bewegung ist jedoch in allen Abschnitten der Kirchengeschichte dabei. Ihre wichtigsten Wurzeln aus heutiger Sicht und auf Österreich bezogen sind sicher im Täufertum der ersten Reformationszeit zu finden.
Wichtige Einflüsse kommen aber auch aus England, wo die ersten Freikirchen - unabhängig vom Staat - in größerer Zahl entstanden, aber auch aus dem deutschen Pietismus. Das breiteste Spektrum an evangelikalen Freikirchen hat wahrscheinlich Nordamerika (USA, Kanada) aufzuweisen. Grund dafür ist die dort von Anfang an herrschende Glaubensfreiheit und die Toleranz in Glaubensfragen.
Wie bereits eingangs erwähnt, sind "evangelikale" Christen solche, die sich immer wieder neu am Evangelium orientieren und an der Heiligen Schrift als Maßstab für Leben und Glauben festhalten.
Wichtige Grundsätze evangelikaler Gemeinden in Österreich:
Wir sind eine christliche Kirche.
Die Heilige Schrift (Altes und Neues Testament) ist unsere Glaubensgrundlage.
"Gemeinsam unterwegs mit Jesus"
Persönliche Beziehungen prägen das Zusammenleben in der Kirche
Ein persönliche Beziehung zu Christus prägt unser Leben.